4/06/2007

düstere nacht

Seltsam, fast etwas unheimlich beginnen die Kartage. Ich lebe wieder in Gemmayzeh, in der gleichen Wohnung, nur mein Gastgeber ist diesmal nicht Stefan Weber, der nun schon in London ist, sondern mein Bekannter Kirill, der Stefans Wohnung übernommen hat. Angekommen bin ich am Gründonnerstag aus Aleppo, müde und gestresst von neun Stunden Busfahrt. Sandsturm in Beirut – mal wieder, das kommt hier häufig vor, doch verliert es für mich nicht diesen unheimlichen Charakter, wenn die Luft ganz dick, schwül und gelblich ist. Der Heimweg durch die Rue Gouraud war nicht weniger unheimlich: Die Ostertage treiben die Christen aus den Häusern, und die Kirchen sind abends zwar hell erleuchtet, doch einladend wirken sie nicht. Ich scheue mich, hineinzugehen, die kleinen, verschworenen Kreise zu stören. Nach dem Essen wollte ich noch kurz ins Orientinstitut, wohin der Weg mich jetzt wieder zwangsläufig durch die Hisbollah-Camps führt. Vorbei an der offenen Georgs-Kathedrale der Maroniten; auch hier österlich-offene Heimlichkeiten, hinein ins Lager. Dort eine merklich andere Stimmung: ich weiß nicht warum, aber ich fühlte mich mehr denn je beobachtet. Irgendwie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mehr Kontrollen, mehr Aufpasser, mehr Angst dort herrscht. Einige Gespräche und Martinis im Orientinstitut später wieder zurück Gemmayzeh. Bepackt mit drei Plastiktüten voll frischer Kleidung; steht doch mein großer Koffer fast fertig zum Abflug gepackt im Institut. Mit dem Kopf also nach oben und dem Blick nach vorn durchs Lager – ich gebe zu, ich mag schon ein bisschen den Eindruck eines Selbstmordattentäters erweckt haben an diesem Karfreitagmorgen um 2.00 Uhr in der Früh. Auf einmal zerreißt Feuerwerk (warum weiß ich nicht) mehr als surreal den grauen Nachthimmel und lässt ihn bunt und wegen des Sandsturms dazu dreckig gelb erleuchten. Vor der Kathedrale noch immer die Christen mit ihren versteinerten Gesichtern, und überall wachsam verschlafen die Aufpasser von Hisbollah. Erst ein Pfiff hinter mir, dann die wohlbekannten Geräusche aus den Funkgeräten – am nächsten Checkpoint werde ich also erwartet. „Was in meinen Taschen sei“, nun diese Frage kenne ich aus Beirut sehr wohl, doch im Gegensatz zu Polizei und Militär erscheint mir der Widerspruch bei den Hisbollah-Schergen doch zumindest obligatorisch versuchenswert – auch wenn ich um die Vergeblichkeit dieses Versuches wohl weiß. „Kleidung“, sage ich, „und Bücher.“ Eine ehrliche Antwort - doch mit dem Öffnen der Plastikbeutel warte ich noch. Wenn sie von der Polizei oder dem Heer wären, würde ich gerne den Beutel öffnen, aber warum sie – am Ende ihres Camps – nun meine Beutel sehen wollen, das sage und frage ich. Die Antwort weißt Kleinkinderlogik auf: „Warum? – Darum!“ – Bevor aus den zehn unrasierten, stinkenden Typen um mich herum dreißig werden, bevor ich noch länger müde auf mein Bett warten muss, und vielleicht noch mein gut verpackter Laptop inspiziert wird, lenke ich ein und zeige ihnen den Inhalt meiner Taschen. Als sie meine Unterwäsche durchwühlen, kann ich mir ein überlegenes Grinsen in all meiner Unterlegenheit dieser Situation nicht verkneifen. „Habt ihr Angst?“ – war meine letzte Frage an die Tascheninspekteure im dunkelgelben Nachtlicht. Eine Antwort bleiben sie mir schuldig.

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1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Dann wünsch ich dir eine gute Heimreise, und keinen allzu großen Kultur- und Temperaturschock zuhause.

Schöne Grüße,
Andi Z.

10:46 AM  

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