3/18/2007

quadragesima

Ein Nachtrag zu Damaskus.
Nicht nur im Christentum gibt die Zahl 40 die Tage vor, die der Vorbereitung und Einstimmung eines Feiertags dienen. Hier im Libanon ist es Gang und Gäbe, auch genau 40 Tage nach einem Todestag etwa einen erneuten Kondolenzbesuch abzustatten, ganz egal ob Christen, Sunniten oder Schiiten. So etwas nennt man dann Arba´in (was schlichtweg "vierzig" heißt). Und wem könnte man - nun nicht mehr im Libanon speziell, sondern in der schiitisch-muslimischen Welt generell - besser einen Kondolenzfeiertag widmen als dem in der Schlacht von Kerbela gemeuchtelt und gemordeten Prophetenenkel al-Husayn. Natürlich kennt man die blutigen Ashura-Prozessionen aus Iran mit ihren Flagellanten und ekstatischen Ausschreitungen. Aber wer rechnet damit vierzig Tage nach Ashura meilenweit von Iran entfernt im Souq von Damaskus? Miriam und ich sicherlich nicht.
Und so kam es, wie es kommen musste. Miriam mit ihren langen blonden Haaren und ich mit einem leckeren Eis der traditionsreichen Eisdiele Bakdasch in der Hand fragten uns noch, was denn diese komischen halbnackten Männer am Eingang des Souq al-Hamidiye sich da so lautstark rhythmisch mit ihren Fäusten auf die Brust klopften. Meine Annahme "wir können ja an der Seite vorbeigehen" erwies sich dann innerhalb weniger Minuten als großer Trugschluss: Hunderte von heulenden, sich schlagenden, hysterischen, verhüllten Schiitinnen waren auf einmal um uns beide, die wir ja nicht wenig touristisch und gänzlich unislamisch aus der Wäsche kuckten.
Nachdem die Umstehenden nicht gerade sanft anfingen, mich aus dem Strom herauszuzerren, war uns dann auch irgendwann klar, dass wir in den "Frauenstrom" der Prozession gelangt waren. Entgegen der von den Ziehern und Zerrern geforderten Richtung zwängten wir uns dann möglichst schnell auf die andere Seite durch, konnten aus der Prozession heraustreten und brauchten erst einmal ein paar Minuten, um das zu verarbeiten.
Fazit: Nichts passiert, aber einige wirklich nicht schöne Minuten, in denen ich mich doch gefragt hätte, was passieren hätte können. Ich war wirklich schockiert, wie "unmenschlich" die Gesichter der Leute in Ekstase waren, und zugleich ungemein verärgert, dass ich die Situation mit meinem "da können wir an der Seite noch vorbei" doch so unterschätzt hatte.
Aber: Trotz Drängeln, Schubsen, Angst - mein Eis habe ich nicht losgelassen. Man muss sich schon treu bleiben.

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1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Ich bin heute zwar nicht gerade in einen Pulk religiöser Anhänger geraten, dafür aber in einen Paradezug eines Musikkorps der Stadt Göteborg: 100 junge blonde Schwedinnen in - na, nennen wir es mal körperbetonten - hellblauen "Uniförmchen"...also, da hab ich wohl nicht minder Mitleid verdient denn Du, oder?!

5:53 PM  

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