8/31/2006

falscher alarm

Vielleicht war es, so hoffe ich das auch, eine voreilige Entscheidung, bei mir selbst Ungezieferbefall zu attestieren. Gestern in der kollektiven Lernrunde im klimatisierten Lernraum des Wohnheims, da lief er auf einmal quietschvergnügt über meinen rechten Unterarm und hüpfte von Elle zu Elle: Mein erster Floh. Doch im Gegensatz zu mancher Dame hier an der Sommeruniversität kann ich lediglich mit dieser Begegnung der saltativen Art aufwarten - nicht jedoch mit zerbissenen Beinen. Vielleicht ist der Kelch noch einmal an mir vorübergesprungen?

8/30/2006

außerordentliche leistungen des gestrigen tages

Gestern habe ich...

  • ...zum ersten Mal in meinem Leben Litschijoghurt gegessen.
  • ...meine herausgebrochenen Sonnenbrillengläser mit Haushaltszement wieder eingefügt (Danke an Esther für das Bereitstellen des Equipments).
  • ...zum ersten Mal gesehen, was ein wirklich großes Rudel wilder Hunde ist: Und das im Hightech-Staat. Mindestens dreißig Stück, die uns nachts auf der Straße zwischen Busbahnhof und Suq entgegengekommen sind. Ein fröhliches Heulen...
  • ...ein israelisches Hip-Hop-Konzert von ha-Dag Nachash (הדג נחש) besucht. In einem zum Club umgebauten osmanischen Herrenhaus (um 1900, ich habe was gelernt im Beirutpraktikum!). Und mir mehr Blasen geholt als beim Wandern in Jordanien.
Jetzt habe ich auch in einer großzügigen Photospende und -austauschaktion von Julie das Photo von Lydia, Sebastian, mir und dem Frontsänger bekommen. Danke!

8/28/2006

my daily zebra

Zahnhygiene tut Not, und nachdem nun meine deutschen Zahnpasta aufgebraucht war, ist es an der Zeit, neue Wege in dieser Richtung zu beschreiten. Natürlich nur on my very own perfect zebra, vesteht sich. Nur echt mit zehn Streifen. Auch in Hebräisch. Wieher.

8/27/2006

aranne central library

Besondere Herausforderungen benötigen besonderen Tatendrang, besonderen Aufbruchwillen und besondere Menschen. Was noch wie die Doktrin der Ben-Gurion Universität klingt ("Israel's capacity for science and research will be tested in the Negev", David Ben Gurion, wer sonst), war mein tatendrängendes, aufbruchwilliges, besonderes Tagesgeschäft. Da meine Referate für die nächste Exkursion auch einmal fertig werden sollen, schritt ich tapfer, voller Tatendrang usw. zur Tat. Grenzenlos die Motivation, unzügelbar der Elan, willig der Geist. Wo hat man schon den Genuss einer 24h-geöffneten Bibliothek, wenn nicht im Negev, wo Israel's capacity for science and research will be..., genau Ben Gurion wieder.
Grenzenlos die Enttäuschung, zermürbend die Schmach, zum Himmel schreiend das Unrecht: Israels sicherlich faszinierendster Bibliotheksbau schließt, nachdem nun wohl alle Prüfungen vorbei zu sein suggerieren, bereits um 16.45 Uhr. Provinzieller als Bamberg. אוי חבל ...

8/26/2006

jerusalem - tiberias - tel aviv - beer sheva

Wem diese Route stressig erscheint, der hat nur bedingt Unrecht. Aber dennoch haben wir versucht, uns nicht von Kilometerzahlen, dem üblichen Gedränge am Busbahnhof und der immanenten Hitze abschrecken zu lassen. Zuerst also der Besuch in Yad va-Shem/Jerusalem. Ehrlich gesagt war ich etwas enttäuscht, da wir eigentlich nur das Museum besucht haben, das dem deutschen Durchschnittsschüler mit Geschichtsunterricht von der 6. bis zur 13.Klasse rein gar nichts Neues bringt. Die Ausstellung: Teile waren gut, andere viel zu überladen. Die Führung: Viel zu lang, einiges erschien mir auch überinterpretiert, z.B. der von der Kirche ausgehende Antisemitismus im Mittelalter. Ach ja, und heftig „zionistisch“ ist dieses Museum schon auch: man läuft durch die Schrecken der Verfolgung und des 2. Weltkrieges – und steuert auf eine wunderschöne Aussichtsterrasse zu, die den Blick freigibt auf Jerusalem, ganz so, als läge die einzige Chance auf Neuanfang des Judentums in Eretz Israel...

Dann fuhren Julie, Lydia, Esther, Christina, Sebastian und ich weiter nach Tiberias, bezogen in der Jugendherbere Quartier, aßen keinen St.Peters-Fisch, weil er im Restaurant aus war, bzw. einer von sechsen ihn sowieso nicht bestellt hatte, und genossen die Abendstimmung an der Mole mit fruchtiger Limonade und keifenden russischen Großmüttern.
Am nächsten Morgen ging es dann erstmal vorbei am mutmaßlichen Grab (wir mutmaßten) von Maimonides zum Strand, wo wir in der Soglinie von unzähligen israelischen Grill-Patriarchen in der Sonne braten und zugleich Bratenduft annehmen konnten. Lecker. Zwei Rutschgänge in der lebensgefährlichen (Esthers Rücken kann ein blutiges Lied davon singen) Wasserrutsche, die vermutlich noch aus Herzls Zeiten stammt, lehrten uns, unser Heil doch im heiligen Wasser zu suchen, auch wenn die autoritären Bademeister jeden Badespaß zu unterbinden suchen. Wenn aus Orientalen (o-Ton PD R.E.) Spießer werden.
Heimfahrt mit etlichen Staus und schweren Gefechten unsererseits am Busbahnhof Tel Aviv. Erst im dritten Bus bekamen wir Plätze. Aber richtig schöne, das Warten hatte sich gelohnt (einreden kann man sich bekanntlich ja viel...). Späte Rückkehr, große Müdigkeit, Schluss jetzt.

8/23/2006

bagalil

oder: Jubiläum des Orangensafts

Die Wochenendegestaltung nimmt Formen an. Der Großteil der Gruppe fährt am Freitag nach Yad va-Shem. Danach werden voraussichtlich Lydia, Julie, Esther, Sebastian, Ruben und ich weiterfahren an den Kinneret. Bislang habe ich die Landschaft dort nur von Umm Qays, Jordanien, aus gesehen. Dort gab es vor ziemlich genau einem Jahr ein gutes Mittagessen im Gasthaus der Ausgrabung zu genießen – mit weitem Blick auf die Golanhöhen und den harfenförmigen See. Perfektioniert wurde das sinnesfreudige Erlebnis dann tatsächlich ganz prosaisch, indem ich den wirklich allerersten frisch gepressten Orangensaft aus echten Orangen getrunken habe. Erst seitdem kann ich so etwas wie Erweckungserlebnisse richtig verstehen. Nach dem kommenden Wochenende weiß ich dann, ob der israelische Orangensaft in der Ebene genauso schmeckt wie im Hügelland im alleräußersten Nordwesten des haschemitischen Königreichs...

8/22/2006

schönes wetter heute - oder: 39°

Es ist bei aller Abgedroschenheit doch an der Zeit, auch einmal über das Wetter zu reden. Die Überschrift suggeriert es schon: es ist mit erhöhten Temperaturen zu rechnen. Laut unserer Lehrerin Ora war heute und ist morgen der heißeste Tag im Jahr in Beersheva. Also: Pack' die Badehose ein...
Wenn nichts dazwischenkommt, so bedeutet das: zwischen 7.oo und 8.oo Uhr in der Früh zum ersten Mal in den Pool des Sportcentres, ab und zu zwischen Unterricht und Vorlesungen, also gegen 14.oo Uhr, und dann noch einmal abends gegen 20.oo Uhr. Wahrlich kühles Nass, okkupiert von halb Russland, beershevitischer Landjugend und prosperierenden Klein-, äh Großfamilien. Aber ein bisschen Sport muss schon sein. So mag es auch nicht verwundern, wie ich die restliche Zeit auf der Wiese des Studentenwohnheims verbringe...

(vielen Dank an Sebastian für das Photographieren im hilf- und besinnungslosen Zustand)

8/21/2006

viva la restauración!

„Hello,“ wurde ich von einem Zettel an meiner Zimmertüre begrüßt, als ich am Sonntagabend aus Jordanien wieder in Beersheva gelandet bin. „Hello, tomorrow in 8:30 we want to paint your room.“ Ja Hallo... – Dazu die putzige Arbeitsanweisung „Please put you stuff on the bed.“ Aber wer bislang aufmerksam gelesen hat, der weiß, dass ich einen Heidenrespekt vor Moti, House father of dormitory Gimel, habe (auch wenn er letztendlich doch nicht mein Mitbewohner war). Nun, was gibt es zu berichten? Um 8:00 Uhr schon rückte besagter Mordechai „Moti“ House father of dormitory Gimel an, und ich überließ mein trautes Heim den Restaurationsversuchen. Was habe ich gelernt? a) Es stimmt wirklich, dass man Wände nicht beliebig oft übertünchen kann. Wirklich! Vielleicht sollte ich mit meinen Mitstudenten einen Wettbewerb veranstalten, wer den größten Farbfetzen von den Wänden ziehen/blättern kann. Und was noch? b) Es hat wirklich Sinn, Steckdosen vor dem Streichen abzukleben. Aber wer braucht schon Steckdosen...

michael jackson im nabatäerland?

Wie es oft so ist, sagen Bilder meist mehr als Worte. Deswegen gibt es davon diesmal überdurchschnittlich viele auf diesen Internetseiten. Zu sagen bleibt nur, dass Petra, die auch für die Arabischkundigen المدينة الوردية, also die ros(en/a)rote Stadt der Nabatäer, ist, auch beim dritten Besuch meinerseits nichts von ihrem Reiz verloren hat. Wie es sich auf der Gegenseite verhält, dazu schwiegen die Steine. Und zu dem ein oder anderen Déjà-vu gesellte sich auch viel Neues: Zum Beispiel hatte ich bislang noch nicht das 'Kloster', ed-Deir, besucht, das den Wandersmann nach einer guten Stunde treppauf-treppab gar prächtig belohnt. Interessant auch das Ergebnis eines kleinen Surveys von Sasan und Stefano, wie wohl der typische peträische Beduine seinen Esel nenne... Eindeutiger Siegername für die grauen und weißen Freunde ist 'Michael Jackson'. Wer hätte das gedacht.

go south. go east. go north. go west. go south...

Israel und Deutschland unterscheiden sich ja eigentlich vor allem dadurch, dass in erstgenanntem Staat die Bananen primär aus dem Osten kommen. Also: go east. Doch die Fahrt durch die fruchtbare Westbank, Heimat der knackigsten Südfrüchte, sollte erst den Abschluss unseres kleinen Wochenendeausfluges nach Jordanien darstellen.
Also alles auf Null und von vorn. Deswegen: go south.
Zuerst fuhren Stefano, ein Mitstudent aus Bologna/Konstanz, und ich nach Eilat, dem einzigen Zugang Israels zum Roten Meer, trafen dort mit Sasan, einem Mitstudenten aus Bamberg, zusammen und passierten spätabends die Grenze. Sozusagen: go east.
Noch kommen keine Bananen ins Spiel, vielmehr ein leckeres Fischessen, an dem ich, wie wenige verwundern wird, nur mit den Augen, nicht mit dem Gaumen partizipierte. Am Roten Meer isst man tatsächlich diese netten bunten Fische, die man sonst nur in den Tropenaquarien der heimischen Chinarestaurants zu bewundern weiß. Aber vielleicht verschicken ja deutsche Chinarestaurants ihre zu groß gewordenen Lieblinge nach Jordanien? Go east. Maybe...
Mit einem Grüppchen etwas arroganter Backpacker dann am nächsten Morgen nach Petra – wo wir zwei Tage blieben. Während es für Sasan, der am Sonntag seinen ersten Praktikumstag in Yad wa-Shem hatte und noch etwas mit den China-Buntbarschen schnorchelnd liebäugeln wollte, go south hieß, folgte ein go north für Stefano und mich, die wir am frühen Abend in Amman ankamen. Einmal mehr nahm ich im Farach-Hotel Quartier, dessen deutsche Übersetzung mit „Freudenhaus“ zwar von der Lexik akzeptabel, begrifflich doch etwas verfänglich ist. Auch dieses Mal die Überzeugung, dass lediglich der immanente Dreck dieses Etablissement zusammenhält, aber man ist ja im Orient. Go east. Go very east.
Am Abend besuchten wir dann das römische Amphitheater, das von Antonius Pius erbaut wurde – so die jordanischen Hinweisschilder. Selbstverständlich ist es kein Amphitheater, und Herr Pius verdient ein i mehr im Namen. Aber Photos gibt es zu begutachten, also möge man sich selbst ein Bild machen. Und, um in alten Traditionen zu bleiben, wieder beim Iraker an der Ecke zum Essen gegangen. Nur ist mir durch Stefanos rege Auffassungsgabe zum ersten Mal bewusst geworden, dass der Iraker zwar gutes Fleisch und leckeres Gemüse serviert, jedoch kein Besteck bereithält. Darüber sinnierend, wie ich denn das Essen die letzten beiden Male im vergangenen Sommer und dieses Frühjahr gegessen habe, gelang es mir auch diesmal im hygienisch etwas bedenklichen Farach-Hotel ein Auge zuzumachen. Fell asleep.
Der Sonntag sollte zur Tour de Force und Tour de Proche-Orient werden, Amman – König-Hussein-Brücke – Jerusalem – Beersheva. Alles in allem sehr anstrengend und schweißtreibend, aber auch interessante Eindrücke wie ein leicht reizbarer palästinensischer Familienvater, der fast ein fremdes Kind verprügelt hätte. Oder die V.I.P.-Loge der jordanischen Grenze, in die wir uns muffelnd und verschwitzt zwischen die saudischen Geschäftsleute geschmuggelt hatten. Oder ein echter Fedayyeen, wie er auch nur noch im Buche steht, mit französischem Pass, nur noch einem Auge, auf dem Weg aus Paris nach Jericho und großer Bewunderung der mitfahrenden Schuljungen. Und wir? Genau: go north, go west, go south. Durch die Wüste beim Toten Meer, durch die Wüste der Westbank, durch die Bananenfelder, die auch Deutschland beliefern könnten, wenn nicht ein anliegender Staat etwas dagegen hätte. Und durch die Wüste auf dem Weg nach Beersheva, Israels Traum in der Wüste.

8/16/2006

al-urdun

Morgen geht es los auf einen Kurztripp in Eigenregie nach Jordanien. Wir, das heißt ein Mitstudent aus Italien und ich, fahren von Beersheva aus nach Eilat ans Rote Meer, von dort nach Aqaba und versuchen noch, Petra zu erreichen. Am Freitag steht ausschließlich die Nabatäerstadt auf dem Programm. Auch wenn ich schon zweimal dort war, freue ich mich außerordentlich. Der Samstagvormittag soll dann noch einmal Petra gelten, bevor wir uns auf die Weiterfahrt nach Amman machen, wo wir übernachten wollen. Über die Allenby/Malik-Husain-Bridge geht es weiter nach Jerusalem, wo wir im Idealfall ein bisschen Zeit verbringen können, bevor es dann weitergeht - zurück in den Negev und zum Ernst des Unialltags. Kleiner Nachtrag: eben hat mich ein Bamberger Mitstudent angerufen, der gerade in Jerusalem ist, vielleicht sind wir morgen sogar drei Leute.

wanderfrust

Bericht kommt bald nachgeliefert... Ich weiß nur nicht, wie man die Einträge hier verschieben kann. Und eine ordentliche Reihenfolge will doch eingehalten werden...

8/14/2006

ein hydrant in sde boqer

eigentlich: ohne Worte

guppies in the desert

Die Israelis können was. Das hat schon nach vier Vorträgen jeder von uns hier begriffen. Der Memorystick wurde hier erfunden – und weitaus früher die berühmte Tröpfchenbewässerung. Sämtliche Witze mit »Möchte ein Jude einen alten Wasserschlauch mit Löchern drin teuer verkaufen...« haben wir auch schon zur Genüge durchgespielt, also lassen wir das. Aber in Sde Boqer haben wir dann doch noch Dinge gesehen, die einem die weitgereiste Kinnlade in Richtung Brustkorb klappen lässt. Unter dem Negev befinden sich große Wasserreservoirs. Ich glaube, die befinden sich unter jedem Land, wenn man nur genügend tief gräbt. Aber lediglich Israel hat so wenig Wasser und so viel Geld, dieses Wasser an die Oberfläche und Weltöffentlichkeit zu pumpen. Das teure Nass dort ist übrigens Brackwasser und über 3000 Jahre alt. Brauche ich zu erwähnen, dass man uns etwa fünfmal wiederholte, dass dereinst schon König David getrunken haben mag? Jedenfalls kann man es wohl nur für die Bewässerung der Felder einsetzen.
Doch bevor Granatapfel, Rebstock und Mandelbaum davon profitieren, erdachte sich ein Wissenschaftler namens Dr. Applbaum (nein, kein Witz jetzt) noch etwas: Auch Guppy, Koikarpfen und der dicke Waller sollen etwas davon haben. Mitten in der Wüste also große Fischfarmen, die Speise- und Zierfisch für heimische Tische und Goldfischkugeln produzieren. Über Sinn, Unsinn, Rentabilität, Umweltschutz und Tierquälerei mag diskutieren wer mag, aber ein Kreativitäts(trost)preis sollte auf alle Fälle dabei sein, oder?

wüstennacht (II)

Es ist schwer, Ernsthaftes und Lapidares gleichzeitig zu schildern. So nun ein Nachtrag zur ersten Wüstennacht. Still war es in der Wüste nicht oft. Auch wenn wir gruppendynamisch-meditative Stopps hatten, bei denen wir zehn Minuten schweigend und besonnen-besinnlich mit dem Blick auf die grandiose mondhelle Landschaft im Sand saßen, so ließ sich die moderne Zivilisation nicht einfach ausblenden: Alle paar Minuten startete ein Düsenjäger aus der benachbarten riesigen Militärbasis. 80% der Negevwüste sind als Truppenübungsplatz militärisch Sperrzone (was natürlich die dort seit Jahrtausenden heimischen Beduinen hoch erfreut haben mag). Ich weiß nicht wohin und wozu die ganzen Maschinen in der Nacht flogen, dennoch oder gerade deswegen habe ich bei jeder gebetet, sie möge doch keinen Schaden anrichten. Ein seltsames, bisweilen furchtbares Gefühl – und auf einmal schrecklich real in so surrealer Landschaft.
In eben dieser Nacht starteten die Angriffe auf Teile des Beiruter Zentrums. Der Leuchtturm mit seinem Café, in dem ich so gern gesessen bin, wurde von der See aus unter Beschuss genommen. Ich weiß nicht, ob es einen Zusammenhang gibt, und ich weiß nicht, ob das überhaupt von Bedeutung ist.


durch die wüste mit gryphius

Wie wichtig die Wüste für das Profil, oder sollte man sagen: die Profilierung, dieser Universität ist, zeigte uns schon unser erster großer Ausflug, der – man ahnt es schon – in den Negev führte, die Wüste um Beersheva. Eine stimmungsvolle Nachtwanderung bei Mondlicht übrigens. Angeleitet wurde wir dabei durch einen gebürtigen Holländer, mit dem griffigen Namen Arthur du Mosch – eine gelungene Mischung aus Indiana Jones, Didi Hallervorden und Rudi Carell (das Photo ist natürlich bei anderer Situation bei Tage entstanden). Wenngleich nicht als fröhlicher Wandersmann per se bekannt, so war ich auch diesmal wieder willens. Und in guten Schuhen, die mich wie dereinst bei der Wanderung nach Jericho kurz vor Ostern sicher und stilvoll ans Ziel geleiteten. Doch die nächtliche Wanderfreude wurde bald getrübt. Unser Guide konnte nämlich reden. Viel reden. Strichlisten aufstellen, wie oft welche Phrase gefallen ist, das wäre ja kindisch, aber die Top-Ten eines „Desert Phrase Book’s“ würde wohl lauten:
  • Trinken! (eine Aufforderung, die freundlicherweise alle exakt 10 Minuten wiederholt wurde)
  • Wasser kann Leben und Tod bedeuten
  • sechs Meter hohe Springfluten, die gut gelaunt durch die Wüste springen, wenn sie nicht anderes zu tun haben
  • Wüste kann Leben und Tod bedeuten
  • Trinken! Ah, sagte ich schon...
  • Ist das nicht schön?
  • Setzt euch hin. Setzt euch hin! SETZT EUCH HIN!
  • Leben und Tod liegen eng zusammen in der Wüste
  • Wasser kann tödlich sein!
  • Und trinken!

Fällt etwas auf? Genau! Diese treffende Antithetik aus Leben und Tod. Wasser kann nämlich Leben und Tod bedeuten. Und in der Wüste gibt es Leben und Tod. Einsamkeit. Vergänglichkeit. Ist nicht alles nichtig? Und ist das nicht schön? Und trinken!
Mir war’s, als wandelte ich durch ein einziges großes nächtliches mondbeschienenes Barockgedicht. Vorbei an frischen Blumen und Totenschädeln, Plitz und Schweffel-Regen, an Fewr, Pech, Sturm und Grim...

Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein
Auf der ein Schäferskind
wird spielen mit den Herden:
Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten
werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein
Nichts
ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an,
bald donnern die Beschwerden.

8/13/2006

my room is my castle

Küchenschaben gibt es schon mal nicht. Interessant, dass diese kleinen Unholde auf Hebräisch ‚Khomeini’ heißen. Eine Bezeichnung, die sie seltsamerweise erst seit etwa 1978 tragen. Außer Assad und mir wohnen in Zimmer 136 auch noch Ameisen. Aber ich glaube, wir haben einen Kooperationsvertrag – und unsere kleinen Freunde wohnen lediglich im Müll und im Waschbecken. Insofern – kann man von einer Plage sprechen, wenn sie räumlich so begrenzt ist? Nun also zu meinem Zimmer. Zur Veranschaulichung gibt es auch hier auch Photos. Ich habe alles, was man so zum Studentenleben braucht, Schreibtisch, Bett, Schrank... ähm... ja. Alles, was man eben braucht. Die Dusche führt auch im Sommer Wasser. Ein Hahn für durchsichtiges, einer für gelbliches. Da mir schleierhaft ist, wie man hier warmes Duschwasser benötigen könnte, habe ich mich spontan zur Benutzung des durchsichtigen Wassers entschlossen. Bald wird das Zimmer renoviert – nur werde ich das nicht mehr mitbekommen. Etwas traurig stimmt mich, dass dann wohl die Fenster ausgetauscht werden, ohne dass sie jemals irgendwer geputzt hätte. Aber wer weiß, vielleicht erbarme ich mich ja auch noch?

wie ich einen mitbewohner verloren und einen neuen gefunden habe

Zugegeben, mein Verhältnis zu meinem Wohnheimszimmer im Komplex Meonot ‚Gimmel’ gestaltete sich anfangs etwas ambivalent. Wie etwa 50% der anderen Teilnehmer hatte also auch ich Probleme mit dem Türschloss. Gleich beim ersten Einzugsversuch benötigte ich die Hilfe unseres ‚Koordinators’ David, der jedoch auch machtlos war gegen solch eine Tür. Vielleicht liegt es ja an der Shahada, die als Aufkleber ebendort prangt. Also ging er seinerseits Hilfe holen. Und kam mit einem brummenden Schrank wieder, der mir als mein Mitbewohner gedeutet wurde. Ein Hüne, bei dem niemand auch nur ernsthaft mit dem Gedanken spielen würde, ihm zu verraten, dass sein Pagenschnitt nur zu dämlich aussähe. Immerhin, so dachte ich einstweilen, könnte ich viel von ihm lernen. Zum Beispiel dass man die Tragedauer einfacher T-Shirts nahezu verdoppeln könne, wenn man die Dinger, wie er, einfach nach gewisser Zeit umdrehe. Er sperrte problemlos die Türe auf und grunzte von dannen.

Wie man sich vorstellen kann, verbrachte ich die folgenden Tage in Angst und Schrecken.

Von meinem Mitbewohner nahm ich nur selten etwas wahr. Und dann stand da eines Tages ein wildfremder Mensch am Herd. Der war nämlich wirklich mein Mitbewohner. Und nicht der mit dem Pagenschnitt. Das war der Hausmeister. Brrr.
Mein Mitbewohner hat eher einen Rasenmäherschnitt und heißt Assad. Arabischstämmiger Medizinstudent im 2nd Degree. Und hat mir gleich seine Zugangsdaten fürs Internet gegeben. Damit ich illegal mit meinem PC über seine Leitung Emails lesen kann. Nett, oder? Jedenfalls: Auch wenn der ‚alte’ Mitbewohner sicher hilfreicher gewesen wäre, um Klaviere zu transportieren oder Bären zu jagen, bin ich über die aktuelle Veränderung meiner Wohnsituation mehr als beruhigt. Im Kino waren wir auch schon, und ab nächste Woche gilt die Agenda, nur noch Arabisch zu sprechen. Also. Mal sehen.

8/07/2006

fliegen mit ignatius

Zwei Bemerkungen zum Alitaliaflug von München nach Rom: 1. Mir ist schon ein paar Mal aufgefallen, welches Lied Alitalia immer vor dem Abflug spielt. ‚Knowing on Heaven’s Door’ ist es. Wieso bitte? Und 2: Hebt sich das Unsicherheitsgefühl auf, wenn das Flugzeug auf den Namen ‚Salvatore Quasimodo’ hört? Fragen über Fragen.

Dann weiter nach Tel Aviv. Kurz nach dem Abflug von Rom: das Beten geht los. Ich mittendrin in einer größeren Gruppe französischer Juden. Die Fransen der Gebetsmäntel wehen mir von allen Seiten ins Gesicht. Auf dem Tischchen liegt vor mir als Lektüre Ignatius, zum Essen habe ich „senza maiale“ bestellt: ganz klar als Außenseiter gebrandmarkt also. Großer Tumult bricht los. Das koschere Essen ist, so genau konnte ich das nicht nachvollziehen, entweder nicht gut, nicht richtig oder nicht richtig aufgetaut. Was folgte, war Spektakel pur: Aufgebrachte frankojüdische Matronen setzten sich stimmgewaltig und mit vollen Körpereinsatz gegen die hilflosen Stewardessen und Stewards ein. Auch Leute, die selbstständig zum Getränkewagen gehen und sich selbst nachschenken habe ich auf diesem Flug zum ersten Mal gesehen. Und mittendrin auch noch sie: Martina, ein kleines jüdisches Mädchen aus Rom. Übt, ob für den nächsten Kindergeburtstag oder die italienische Miniplaybackshow – non lo so, wilde Tanzakrobatik auf dem Gang ein. Geschlagene drei Stunden. Mir drängen sich Vergleiche zu den alttestamentlichen Rachevorstellungen ein, bis sich mir die Lösung so einfach bietet, wenngleich ich damit wissentlich die Anleitung, die Ignatius (immer noch auf den Tisch vor mir) gibt, in den Fahrtwind schlage: Ich frage Martinas Mutter in höflichem Italienisch: „Entschuldigen Sie, Sie sind doch die Großmutter von diesem kleinen Mädchen. Meinen Sie nicht, dass das zu gefährlich ist mit den ganzen Turbulenzen und so?“ – ernte einen vernichtend bösen Blick, und Martina überdauerte die restlichen fünfzehn Minuten sitzend. Nachdem dese elfte Plage zur Stabilitas loci verdammt war, konnte ich auch als einziger Passagier im Flugzeug das tun, was sie allesamt doch so gern getan hätten. Essen. Ich war in der Tat der Einzige, der – immerhin dann drei Portionen – „Pasto senza maiale“ zu sich nehmen wollte. Deliziös ist etwas anderes, aber die Stewardess hat sich, da bin ich mir sicher, wirklich über mein Lob gefreut. Und Ignatius vielleicht auch wieder.